Im staatlichen Museum für Völkerkunde in München findet vom 6.6.2014 – 11.1.2015 eine Fotoausstellung statt:
»UN/SICHTBAR« ist eine Fotoausstellung, die für alle sichtbar macht, was nur wenige Menschen wissen oder wissen wollen: Immer noch gibt es weltweit Gewalt gegen Mädchen und Frauen, auch kulturell und religiös begründete in Form von Säure- und Brandattentaten. Bedrückend ist auch, dass Frauen in einigen Gesellschaften dies als Form der Selbsttötung wählen. Als Tatmotiv nennen traurige Chroniken vor allem gekränkte Eitelkeit, Eifersucht, zu geringe Mitgift, Landstreitigkeiten und „Ungehorsam“ gegenüber familiären Erwartungen. Von den meisten betroffenen Mädchen und Frauen hat und wird man nie erfahren, da ihr Schicksal nicht an das Licht der Öffentlichkeit kommt – es wird totgeschwiegen. Die Opfer solcher Attentate müssen für den Rest ihres Lebens mit entstellten Gesichtern und Körpern leben, die mit diesen Verletzungen einhergehenden Schmerzen ertragen. Sie müssen auch die tiefen seelischen Narben, die ein solcher Gewaltakt hinterlässt, verkraften.
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl hat sich auf ungewöhnliche Frauenportraits spezialisiert. Sie besuchte zahlreiche Opfer von Säure- und Brandanschlägen in verschiedensten Weltgegenden. In behutsamen Gesprächen hat sie diese Menschen nach ihrem Schicksal befragt und sensibel portraitiert. So entstanden nicht nur Fotos, sondern anrührende Gesamtbilder von Frauen, die von einer Stunde auf die andere aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Ann-Christine Woehrl traf bei den Frauen einerseits auf eine große Scham vor dem eigenen Aussehen, andererseits auf den festen Willen, der Ausgrenzung die Stirn zu bieten, sich dem Schicksal zu stellen und wieder ein selbstbewusstes Leben inmitten der Öffentlichkeit zu führen.
Woehrls Fotografien sind dokumentarische Meisterwerke, in denen körperlich und seelisch gleichermaßen verletzte Frauen ihren außergewöhnlichen Lebenswillen offenbaren, ihren Mut zur Rückkehr aus dem Dunkel der Verborgenheit vor die Augen aller. Woehrls Aufnahmen belichten intime Momente, die trotzdem nie voyeuristisch wirken. Unter anderem die Geschichte eines Paares, bei dem die Braut von den Schwiegereltern nicht akzeptiert und kurz vor der Hochzeit bei einem vorgeblichen Haushaltsunfall entstellt wurde. Der Bräutigam heiratete sie trotzdem, pflegt täglich ihre vernarbte Haut.
Die Bilder der Ausstellung werden von Originaltexten aus Interviews begleitet. So wird nicht nur sichtbar, sondern auch lesbar, was es heißt »UN/SICHTBAR« zu sein. »Heute ist mein persönlicher Unabhängigkeitstag, mein ›Independence Day‹. Von jetzt an will ich mich nicht mehr verstecken«, sagt Neehaari aus dem Dorf Puligadda im südindischen Staat Andhra Pradesh.
Wir wünschen uns, mit diesem Projekt nachhaltig zur Sichtbarmachung eines Phänomens beizutragen, das allzu lange ein Dasein jenseits der öffentlichen Wahrnehmung geführt hat.
Zur Ausstellung erscheint ein Begleitband (€ 39,80), ISBN 978-3-901753-79-4,
in der EDITION LAMMERHUBER, Wien.“