23. Juni – 1. Juli 2018, Eröffnung: 22. Juni 2018, 19:00 Uhr
Zerrissene Gesellschaft
Ludovic Balland [CH], Paula Bulling [DE], Forensic Architecture [DE], Nicolas Giraud [FR], Susanne Kriemann [DE], Alexander Kluge [DE], Anne König [DE], Ferdinand Kriwet [DE], Ute Mahler [DE], Anastasia Potemkina [RU], Miklós Klaus Rózsa [CH], Andrzej Steinbach [DE], Bertrand Stofleth [FR], u.a.
Immer öfter führen Wahlen oder Plebiszite zu einem Votum, das auf ein Patt hinausläuft: vom Brexit, über die Präsidentschaftswahlen in den USA bis zur zäh verlaufenden Regierungsbildung in Deutschland. Oft sind die Argumente zwischen den konkurrierenden politischen Gruppen so verhärtet, dass eine Vermittlung nur schwer möglich scheint: Zerrissene Gesellschaft. Die neuen digitalen Kommunikationsformen und die zunehmende soziale Segregation befördern ein Leben in der „eigenen Blase“. Algorithmen bestätigen die eigene Weltsicht, indem sie das in den Vordergrund rücken, was man „liked“. Verloren geht dabei, was moderne Gesellschaften ausmacht: Unterschiedlichkeit – und die Notwendigkeit einer fortgesetzten kommunikativen Vermittlung.
Wie kann durch die Fotografie das Gesellschaftliche – das schwierige Ganze – wieder in den Blick gerückt werden? Auf welche Weise kann sie heute ein Medium des Demokratischen und der gesellschaftlichen Vermittlung sein? Und wie lassen sich Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse fotografisch begleiten? Diesen Fragen geht das 8. Festival für Fotografie f/stop in mehreren Ausstellungsteilen auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei und im Stadtraum nach. Mit einem Projektteil, der sich mit dem Jahr 1990 befasst, soll exemplarisch gezeigt werden, wie Fotografie als ein Mittel der Vergegenwärtigung und Erinnerung dabei helfen kann, einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess anzustoßen und als dessen Katalysator zu dienen. Gleichberechtigt neben der Fotografie zeigt das Festival auch Zeichnungen. Als Korrektiv der Fotografie – als ihr Gegenüber – gewinnt das Medium gegenwärtig wieder an Bedeutung.
Die Hauptausstellung in der Halle 12 zeigt internationale Positionen, die gesellschaftliche Entwicklungen in ihrer Alltäglichkeit und langen Dauer erfassen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit „La Vallée“ (2013–2016) von Nicolas Giraud und Bertrand Stofleth – ein fotografisches Langzeitprojekt, das den Zerfall der ältesten Industrieregion Frankreichs, dem Gebiet zwischen Lyon und Saint-Étienne, dokumentiert. Auf ähnliche Weise setzt sich Susanne Kriemann mit der Landschaft des Erzgebirges nach dem Ende des Uranbergbaus auseinander. William Faulkners Diktum „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen“ besagt, dass das, was wir Geschichte nennen, nichts anderes ist, als die Strahlenkunde einer Gesellschaft. Manche Konfliktlinien erweisen sich in dieser Hinsicht als besonders aktiv, sie strahlen in die Gegenwart, ihre Energien reichen weit in die Zukunft.
In Auseinandersetzung mit einer hochfrequenten Vermittlung von Ereignis, ihrem ständigen Abreißen, wie es sich in den Massenmedien etabliert hat, untersuchen viele Arbeiten in der Ausstellung das „Nachleben“ momenthafter Ereignisse und ihrer Langzeitwirkung. Der Schweizer Typograf, Buchgestalter und Fotograf Ludovic Balland etwa hat für „American Readers at Home“ im Vorfeld des US-Wahlkampfs 2016 Amerika bereist und Bürgerinnen und Bürger danach befragt, was ihnen von den Nachrichten des Vortags im Gedächtnis geblieben ist.
Das f/stop Filmprogramm wird 2018 von Leif Magne Tangen [NO] und Sarah Schipschack [DE] kuratiert und läuft im Luru Kino. Krisztina Hunya [HU] konzipiert das f/stop Symposion, das KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und das Publikum zum Debattieren einlädt: am 23. Juni mit Beiträgen von Susanne Kriemann, Eva Pluharova, Elske Rosenfeld, u.a., Baumwollspinnerei und am 24. Juni mit Beiträgen von Ayşe Güleç, Ana Teixeira Pinto, Eyal Weizmann u.a. Am 28. Juni setzt sich der Workshop „1990 freilegen“ in einer Panel-Diskussion und mit Vorträgen von Philipp Freytag, Agneta Jilek, Bertram Kaschek, u.a. mit dem Jahr 1990 auseinander.